Bei Business- oder Corporate-Shootings erlebe ich es häufig: Noch bevor ich die Kamera hebe, bekomme ich von den zu fotografierenden Personen genaue Regieanweisungen – insbesondere, was in der Beauty-Retusche später bitte alles entfernt, geglättet oder korrigiert werden soll.
Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass Fertiggerichte nicht das halten, was das appetitliche Foto auf der Verpackung verspricht.
Auch beim Buchen eines Hotelzimmers ist uns meist klar: Das Zimmer mit der schönsten Aussicht und dem edelsten Interieur wird nicht das unsere sein. Schon hier stellt sich die Frage: Was hat das Hotel davon, über seine Bilder mehr zu versprechen, als es einhalten kann? Ist die erste Enttäuschung beim Betreten groß, lässt sich das Erlebnis kaum noch retten. Im schlimmsten Fall fühlt man sich betrogen – und kommt nie wieder.
In der Landschaftsfotografie ist es inzwischen ähnlich: Kaum ein Bild entspricht noch der realen Landschaft. Der Himmel ist blauer, das Gras grüner, das Licht stets wie aus dem Katalog. Es wundert nicht, dass eine australische Influencerin kürzlich ihren Italienurlaub öffentlich verteufelte – mit der Begründung, nichts sehe so aus wie auf den Bildern, die sie zuvor im Netz gesehen hatte.
Nun also haben sich die Menschen entschieden, diese Entwicklung auch auf Ihr eigenes Antlitz zu übertragen.
Vor der Fotografie waren es die Maler, die Menschen abbildeten und zugegeben auch nicht immer exakt das wiedergaben, was vor Ihnen als Modell saß, nicht selten oft idealisiert.
Auch mit Einzug der Fotografie war das Porträt zunächst Ausdruck einer Haltung, einer Zeit, einer Persönlichkeit. Heute soll alles konform und makellos wirken, einheitlich gebügelt durch Filter, Retusche oder KI.
Wann gibt es den KI-Spiegel, in den ich morgens blicke und der mir vorgaukelt, perfekt auszusehen? Frisur sitzt, keine Hautunreinheit, kein graues Haar, keine Müdigkeit in den Augen. Ein digitales Ich, das nichts mehr mit meinem Leben zu tun hat, aber großartig performt.
Die Frage ist: Wem dient dieses Bild?
Denn ein Headshot – egal ob vom Fotografen oder von der KI generiert – ist kein Kunstwerk der Eitelkeit, sondern ein Werkzeug der Kommunikation. Wenn die digitale Selbstdarstellung völlig entkoppelt ist von der Realität, entsteht kein Vertrauen – sondern Verwirrung. Spätestens im echten Gespräch, beim Meeting oder Bewerbungsgespräch, bricht die Illusion zusammen.
Was wir brauchen, sind Bilder, die kompetent und sympathisch wirken – nicht glatt gebügelt und generisch. Eine KI kann Porträts generieren. Aber ob sie auch Charakter, Haltung und Präsenz sichtbar machen kann?